Gedanken zum Tag... der Monate Juni und Juli

Gedanken... 29. Juli 2020


Frei haben.


Schritt für Schritt langsamer werden.


Inne halten.


Still stehen, ohne still zu stehen.


Frei haben.


Und einfach da sein.




 

aus: eDITION GUTE GEISTER Postkarte

 

 
 

Gedanken... 26. Juli 2020


Sommerzeit


gelassen

das Tempo wechseln

 

Sommerzeit

Gabe

und Auf – gabe

 

So lass mich, Gott,

zu mir

zu dir

zum Leben

finden.

 


Autor unbekannt

Füße auf Streifen
 

Gedanken zum Tag... 22. Juli 2020


Wenn ich könnte...

 

„Wenn ich könnte,

gäbe ich jedem Kind

eine Weltkarte...

Und wenn möglich,

einen Leuchtglobus,

in der Hoffnung,

den Blick des Kindes

auf äußerste zu weiten

und in ihm

Interesse und Zuneigung

zu wecken

für alle Völker,

alle Rassen,

alle Sprachen,

alle Religionen.“

 

Dom Hélder Câmara (1909-1999)

 

aus: Dom Hélder Câmara: Mach aus mir einen Regenbogen. Mitternächtliche Meditationen, München/Zürich 1981.

Weltkugel
 

Gedanken... 19. Juli 2020


wer weiß?!...


In einem Dorf in China, nicht ganz klein, aber auch nicht gross, lebte ein Bauer - nicht arm, aber auch nicht reich, nicht sehr alt, aber auch nicht mehr jung, der hatte ein Pferd. Und weil er der einzige Bauer im Dorf war, der ein Pferd hatte, sagten die Leute im Dorf: "Oh, so ein schönes Pferd, hat der ein Glück!"

Und der Bauer antwortete: "Wer weiss?!"

 

Eines Tages, eines ganz normalen Tages, keiner weiss weshalb, brach das Pferd des Bauern aus seiner Koppel aus und lief weg. Der Bauer sah es noch davongaloppieren, aber er konnte es nicht mehr einfangen. Am Abend standen die Leute des Dorfes am Zaun der leeren Koppel, manche grinsten ein bisschen schadenfreudig, und sagten: "Oh der arme Bauer, jetzt ist sein einziges Pferd weggelaufen. Jetzt hat er kein Pferd mehr, der Arme!"

Der Bauer hörte das wohl und murmelte nur: "Wer weiss?!"

 

Ein paar Tage später, sah man morgens auf der Koppel des Bauern das schöne Pferd, wie es mit einer wilden Stute im Spiel hin und herjagte: sie war ihm aus den Bergen gefolgt. Gross war der Neid der Nachbarn, die sagten: "Oh, was hat der doch für ein Glück, der Bauer!"

Aber der Bauer sagte nur: "Wer weiss?!"

 

Fragezeichen
 

Eines schönen Tages im Sommer dann stieg der einzige Sohn des Bauer auf das Pferd, um es zu reiten. Schnell war er nicht mehr alleine, das halbe Dorf schaute zu, wie er stolz auf dem schönen Pferd ritt. "Aah, wie hat der es gut!" 

 

Aber plötzlich schreckte das Pferd, bäumte sich auf und der Sohn, der einzige Sohn des Bauern fiel hinunter und brach sich das Bein, in viele kleine Stücke, bis zur Hüfte. Und die Nachbarn schrien auf und sagten: "Oh, der arme Bauer: Sein einziger Sohn!

Ob er jemals wieder wird richtig gehen können? So ein Pech!"

Aber der Bauer sagte nur: "Wer weiss?!"

 

Einige Zeit später schreckte das ganze Dorf aus dem Schlaf, als gegen Morgen ein wildes Getrappel durch die Straßen lief. Die Soldaten des Herrschers kamen in das Dorf geritten und holten alle Jungen und Männer aus dem Bett, um sie mitzunehmen in den Krieg. Der Sohn des Bauern konnte nicht mitgehen. Und so mancher sass daheim und sagte: "Was hat der für ein Glück!"

Aber der Bauer murmelte nur: "Wer weiss?!"

 

Gedanken zum Tag... 16. Juli 2020


verlaufen


6:00 Uhr früh im Wald

Die ersten Meter noch langsam

Doch langsam gibt der Körper einen guten Rhytmus vor

Tapp-trapp, trapp-trapp

Gedanken ziehen dahin

Waldvögel zwitschern

das dichte Dach der Bäume

Augen auf

Wurzeln im Weg

Springen und die Kraft genießen

die Muskeln jubeln

endlich dürfen sie sich wieder anstrengen

gewohnter Weg

Wiedererkennen

beschließe vom Gewohnten abzuweichen

Neue Wege laufen voller Zuversicht

die Orientierung verlieren

umkehren

sich an der Sonne ausrichten

Sehnsucht nach den alten, gewohnten Pfaden

da endlich

der kleine Waldweg

mit neuer Kraft die letzten Meter

 

angekommen!

 

statt 45 Minuten, 1:15



Karin Stürznickel-Holst

Laufen
 

Gedanken... 14. Juli 2020


Segen der Sinne

 

Zum Segen möge dir gereichen

all das Schöne, das dein Auge

wahrnehmen und im Laufe eines

einzigen Tages erblicken kann.

 

Zum Segen mögen dir gereichen

jeder Klang der Musik und jedes

gute Wort, dass du mit deinen

Ohren aufnehmen kannst.

 

Zum Segen mögen dir gereichen

die frische Luft, die du einatmest,

und der je eigene Duft,

der durch deine Nase dringt.

 

Zum Segen mögen die gereichen

all die verschiedenen Situationen,

die dich berühren, die du vorsichtig

mit deinen Fingerspitzen ertastest.

 

Zum Segen mögen dir gereichen

die vielen guten Gaben der Schöpfung,

die du verkosten kannst mit deinem Mund

und dem zarten Geschmack deiner Seele.

 

Zum Segen mögen dir gereichen

all die Wunder deines Schöpfers,

die er zur Freude deiner Sinne

erfunden und dir geschenkt hat.



Paul Weismantel

aus: Gnau, Dorothea, Hoesch Christina: Den Grund berühren. Spirituelle Elemente für Tage der Orientierung, für Schule und Gemeinde, München 2 2009, 62.

Schmecken - Tasten - Fühlen
 

Gedanken... 12. Juli 2020


Wildblumen



Wertvolle Worte

 

Im Frühling habe ich zwei neue Beete angelegt.

Es sollten Wildblumeninseln als Nahrungsquelle für Bienen und Schmetterlinge entstehen. Weil ich Sonnenblumen mag, habe ich auch sehr viele Sonnenblumenkerne dazwischen gesteckt. Das Beet war gut vorbereitet und während der Trockenphase reichlich mit Regenwasser versorgt. Von der bunten Mischung sind wenige Arten aufgegangen und – keine einzige Sonnenblume…


In einem anderen Beet hingegen, über dem im Winter das Vogelfutterhäuschen hing, sind zwei schöne Sonnenblumen gewachsen – einfach so…


Das erinnert mich an das Gleichnis vom Sämann aus dem Evangelium nach Matthäus   (13, 1- 23). Dort wird von Samenkörnern berichtet, die an verschiedenen Orten liegen bleiben. Einige verdorren, einige gehen kurzzeitig auf, andere wachsen kräftig und bringen Frucht. Jesus nutzt dieses Gleichnis.


Er macht deutlich, wie unterschiedlich die Worte seiner Botschaft in den Menschen wirken können. Wie ist das heute? Wir können nicht wirklich sicher sein, dass ein gutes Wort auf fruchtbaren Boden fällt. Manchmal wirken gute Worte, die ohne eine spezielle Absicht gesagt werden. Ich vertraue darauf, dass einige der „Guten Worte“ auf geheimnisvolle Weise aufgehen. Darum ist es wichtig, die eigenen Worte achtsam zu wählen und die wertvollen großherzig auszustreuen.

 

Beate Lippert

 

Gedanken... 10. Juli 2020


Sei wie ein Kreisel

 

Sei wie ein Kreisel!

Stehe immer wieder auf

und lass dich neu anstoßen,

lass das Spiel des Lebens

nicht an dir vorbeirauschen –

begib dich mitten hinein,

spiel mit!

 

Sei wie ein Kreisel:

spür die Mitte,

in der du ruhst,

die dich aufrecht hält,

dir Kraft schenkt

und dich trägt!

Lass dich antreiben von dem

Schwung und der Lebendigkeit,

die in dir stecken

und andere anstecken können!

Merkst du, wie ein kleiner Punkt

als Standpunkt ausreicht? –

Aber dieser kleine Punkt

gehört dir ganz allein,

da steht niemand anders,

da bist du unvertretbar

und unverwechselbar du.

 

Sei wie ein Kreisel:

Doch dreh dich nicht nur um dich selbst.

Und sei auch bereit,

weiter zu tanzen zu neuen Standpunkten,

auf andere zuzugehen!

Sogar Schwellen kannst du überspringen –

wenigstens ab und zu.

 

Bernhard Kraus

aus: Gnau, Dorothea, Hoesch Christina: Den Grund berühren. Spirituelle Elemente für Tage der Orientierung, für Schule und Gemeinde, München 2 2009, 155.


Kreisel
 

Gedanken zum Tag... 8. Juli 2020


Es gibt Zeiten


Es gibt Zeiten

da gilt es

das Leben zu feiern

das überstandene Dunkel

ein neues Buch

einen Geburtstag

 

Es gibt Zeiten

da gilt es

mit den Gefährten zu rasten

Brot und Wein zu teilen

sich der Schritte zu erinnern

die gegangen sind

 

Es gibt Zeiten

da gilt es

von Träumen zu erzählen

um kraftvolle Visionen

zu schaffen

sich Mut zu machen

für den weiteren Weg.

 

Es gibt Zeiten

da gilt es

einen langen Atem zu haben

und der Hoffnung

trotzdem

zu trauen.

 

Andrea Schwarz


Uhr
 

Gedanken... 5. Juli 2020


Puzzle


Manchmal hab ich das Gefühl, dass das Leben aus vielen Puzzleteilen besteht – und dass ich eigentlich gar nicht mehr weiß, wo was hingehört.


Mag sein, dass sich in einer Ecke schon etwas zusammengefügt hat, aber da liegen noch genug Teile auf dem Tisch – und immer wieder kommen neue dazu. Und ich habe keine Ahnung, wie die alle zusammengehören.

Manchmal aber ist es nur ein Gedanke, Einsatz, eine Idee, der zwei Puzzleteile miteinander verbindet – und plötzlich ein sinnvolles Ganzes ergibt.


Der eine Gedanke: Im Buch Exodus in der Bibel wird erzählt, wie Gott sein Volk in die Freiheit führt. Die Israeliten sollen frei sein. Der andere Gedanke: Gott schenkt seinem Volk einen Tag zum Ausruhen und Atemholen, den Sabbat, den siebten Tag. Zwei Puzzlesteine, die sich auf einmal ineinanderfügen: Um frei zu sein, muss man eigentlich freihaben. Der Ruhetag will Freiheit möglich machen, einen Auszug aus den Gefängnissen meines Alltags.

Der Ruhetag: keine Pflicht, sondern Einladung zur Freiheit. Auch für mich.


Andrea Schwarz

Gott lässt grüßen. 40 Tage Auszeit für mich. Meditationskarten, Patmos-Verlag 2017.

Puzzle 
 
 

Gedanken... 3. Juli 2020 - Fest des Heiligen Thomas


didymus


wenn du es bist

tritt durch die stahltür

die von angst gehärtete

in mein zitterndes innen


wenn du es bist

leg deinen finger

auf die fieberstirn

meiner zweifel


wenn du es bist

führ deine hand

an die herzschwäche

meiner liebe


wenn du es bist

du weißt was weh mir tut

inwendig kennst du mich

als wärst du mein


zwillingsbruder



Andreas Knapp

Heller als Licht, Biblische Gedichte, Regensburg 2015


Thomas


Bild: Caravaggio, Michelangelo Merisi da: Der ungläubige Thomas, GK I 5438 / Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg / Hans Bach
In: Pfarrbriefservice.de

 


Thomas aber, einer der Zwölf - der Zwilling, didymus genannte - war nicht bei ihnen, als Jesus kam... Und nach acht Tagen - seine Jünger waren abermals drinnen, auch Thomas bei ihnen - kommt Jesus bei verriegelten Türen, trat in die Runde und sprach: Friede euch! Darauf sagte er zu Thomas: Führ einen Finger hierher und sieh meine Hände. Und für deine Hand hierher und leg sie in meine Seite. Und sei nicht ungläubig, sondern glaubend.

Hob Thomas an und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott.


Johannesevangelium 20,24.26-28


Gedanken zum Tag... 30. Juni 2020


Sämann


Der große Sämann,

ungerufen,

blies einen Atem von Blumensamen über mich hin

und streute eine Saat

von Kornblumen und rotem Mohn

in meine Weizenfelder.


Das leuchtende Unkraut,

mächtiger Sämann,

wie trenn ich es je

von den Ähren,

ohne die Felder

zu roden?



Hilde Domin

Nur eine Rose als Stütze, Gedichte, Frankfurt 2012


Mohnblumenfeld
 

Gedanken... 28. Juni 2020


Verlieren


Das alte Leben verlieren heißt auch:

Sicherheiten aufgeben.

Ängste nicht weiterpflegen.

Falsche Schuldgefühle lassen.

Aus engen Traditionen ausziehen.

Sich nicht darum kümmern, was andere sagen.


Das alte Leben verlieren heißt auch:

Die Lust am Leben bejahen.

Zu seiner Sinnlichkeit stehen.

Sich neue Räume erschließen.

Das Risiko nicht scheuen.

Dem Kreuz nicht ausweichen.


Das alte Leben verlieren heißt auch:

Neue Wege suchen.

Zu träumen wagen.

Sich schutzlos öffnen.

Lieben, dass es wehtut.

Gott vertrauen.


Roland Breitenbach

Wegmarken
 

Gedanken... 25. Juni 2020


Digitaler Weltentdecker


Videoanruf von meinem Vater: „Geht es an der Panamericana links oder rechts nach Piedra Azul?“, fragt er unvermittelt. Er sitzt in seinem Sessel, aber anscheinend ist er gerade in El Salvador unterwegs. Seit er das Tablet für sich entdeckt hat, bricht der häufig zu reisen auf. Ins Flugzeug will er mit seinen 80 Jahren nicht mehr steigen, aber digital hebt er sehr gerne ab. Er lässt den Globus vor sich kreisen und startet mit seinen Erinnerungen durch.


Ich muss mich orientieren. Mittelamerika ist lange her. An der Kreuzung wo man schnell vorbei. Kaffee trocknete am Straßenrand. Ein Schild gab es nicht. „Ich sehe den Vulkan, das ausgetrocknete Flussbett, aber nirgends den Namen“, sagt mein Vater etwas ratlos.

Ich öffne meine Karten-App und reise ihm hinterher. An der Kreuzung an der Panamericana treffen wir uns. „Ich glaube, wir müssen nach links“, sage ich und gemeinsam biegen wir ab. Wir wechseln zwischen Karten- und Satellitenansicht hin und her, zoomen uns an die Kurven heran, die wir einst gefahren sind.

„Haben wir hier nicht gesessen?“ – „Ja, Pupusas!“ Ich suche schnell ein paar Fotos von den gefüllten Maisfladen und schicke sie ihm. „Schade, dass noch kein Street View für die Gegend gibt“, sagt mein Vater. „Gestern bin ich durch Barcelona geschlendert.“ Ich beneide ihn um diesen Ausflug.

Vernetzt
 

Piedra Azul entdecken wir nicht, zumindest ploppt der Name nie auf. Nicht alles ist digital verzeichnet. Aber eine gemeinsame Erinnerung stöbern wir auf: Als nach einem Sturzregen die Sonne auf das nasse Vulkangestein schien, leuchtete alles blau. Daher hat der Ort auf seinen Namen: „Blauer Stein“. Noch ein Weilchen sitzen wir 600 km voneinander entfernt an einem Berghang auf der anderen Seite der Welt und genießen die Aussicht.

Oliver Spies

(aus: Andere Zeiten e.V. (Hg.): wandeln 2020. Mein Fasten-Wegweiser, Hamburg 2020, 87.)


„Nicht alles ist digital verzeichnet“... und doch finde ich es eine schöne Idee, sich gedanklich und mit Hilfe der digitalen Medien auf Reisen begeben und dabei Erinnerungen, an schöne Orte wachzurufen, sich über die gemeinsamen Erfahrungen auszutauschen.

Dies ist auch möglich, wenn man verschiedenen Gründen nicht analog reisen und Zeit miteinander verbringen kann.

„Nicht alles ist digital verzeichnet“ – aber die Verbindung aus den digitalen Möglichkeiten und den analogen Erinnerungen und Verbindungen bietet (neue) Möglichkeiten, Schönes lebendig werden zu lassen.

Gute Reise!

 

Andrea Koucky


Gedanken... 23. Juni 2020


der täufer


väterlicher hoffnungsimpotenz und

erstorbenem mutterschoß zum trotz

sonnwendgeborener gottesmund


seinem engel folgend wird er

in steinverlorener wüste

zum erbauer der großen sternenstraße


wächter an der verheißungsgrenze

und trauzeuge des zum tode

verwundeten friedenslammes

sein wort streckt sich wie ein

sehnsuchtsgespannter brückenbogen

vom ufer aus zionsheimweh

bis zum lichtgestade des morgensterns


seine stimme dröhnt windverweht

bis in die palastkammern jerusalems

und wird zur axt an der übel wurzel


im erotischen tanz um die macht

wird mit johannes auch die gerechtigkeit enthauptet

sein ausgestreckter zeigefinger aber

weist für immer

auf jenen ermordeten hin

der im sterben noch

seine mörder begnadigt


Andreas Knapp

Weiter als der Horizont - Gedichte über alles hinaus



Detail aus dem Isenheimer Altar von Matthias Gründwald (1480-1530).

Es zeigt die Kreuzigung Jesu. Grünwald fügt Johannes den Täufer, der zum Zeitpunkt der Kreuzigung Jesu bereits enthauptet war, in das Bild ein. Johannes zeigt mit einem überdimensionierten Zeigefinger auf Jesus hin, ein Lamm zu seinen Füßen.


Am 24. Juni ist das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers.

 
 

Gedanken zum Tag... 21. Juni 2020


Seit meiner Kindheit

 

Seit meiner Kindheit

Bin ich den Menschen auf der Spur.

 

Ich frage viel.

Ich blieb sitzen,

wo viele gingen.

Ich lasse die Menschen

nicht aus meinen Augen.

 

Seit meiner Kindheit

Bin ich den Menschen auf den Fersen.

 

Auf diesem Weg hab ich

viel von Gott entdeckt.

 


Martin Gutl

 aus: http://members.aon.at/gutl/martin_hp/gedichte_neu.htm

 [Stand: 20.06.2020].


Kind schaut auf Erwachsene
 

Gedanken... 19. Juni 2020


Kochrezepte


Ich koche ganz gerne – und wenn Besuch kommt, noch ein bisschen lieber.

Und gelegentlich habe ich auch Lust, etwas Neues auszuprobieren.


Dann macht es richtig Spaß, Rezepte zu lesen und zu vergleichen und auf interessante Ideen zu kommen. Denn wenn man einmal die „Grundidee“ verstanden hat, dann schaut man, was im Kühlschrank ist und was eventuell zueinander passt, wie sich die eine Zutat, die man grad nicht da hat oder nicht mag, durch etwas anderes ersetzen lässt – oder was eine aparte, frische Geschmacksnote geben könnte. Wenn man selten kocht, wird man sich eher an das Rezept halten.


Je häufiger man kocht, umso freier wird man. Rezepte werden zu Anregungen und nicht mehr zu sklavischen Ausführungsbestimmungen. Dann aber wird jedes Gericht auch zu einem „Original“ – und ich werde es nie wieder genauso nachkochen können. Das geht dann, wenn man das „Grundrezept“ verstanden hat...

 

"Genau das sollte man in der persönlichen Spiritualität auch tun: die Rezepte hinter sich lassen " Dietmar Mieth

 

aus: Schwarz, Andrea: Gott lässt grüßen. 40 Tage Auszeit für mich. Meditationskarten, Patmos-Verlag 2017.

Zutaten
 

Gedanken... 16. Juni 2020


Ich sehe was, was du nicht siehst

 

Ich sehe einen kleinen Jungen, der nicht in den Kindergarten gehen darf, um dort seine Freunde zu treffen. Er integriert das Corona-Virus in sein Spiel, versteht aber noch nicht, warum dieses ihm verbietet, seine Freunde wiederzusehen. Ich sehe was, was du nicht siehst – Traurigkeit.

 

Ich sehe einen Jugendlichen, der nie gerne in die Schule gegangen ist. In den vergangenen Monaten ist er sich darüber bewusst geworden, was ihm alles fehlt, wenn er nicht in die Schule gehen darf. Als die Schule wieder öffnen durfte, konnte er es kaum erwarten, sie wieder zu besuchen. Ich sehe was, was du nicht siehst – Freude.

 

Ich sehe eine Familie, sie sich jetzt so richtig kennenlernt. Der Vater erklärt der Tochter, wie man ein Fahrrad repariert, der Sohn versteht nun, dass Wäsche waschen und Rasen mähen nicht ohne sind. Abends sitzen sie oft zusammen und erzählen einander von ihrem Tag. Ich sehe was, was du nicht siehst – Geborgenheit.

 

Ich sehe junge Menschen, die kurz vor ihrem Schulabschluss stehen. Schon seit einem Jahr fiebern sie ihren Prüfungen, aber auch den gemeinschaftlichen Feierlichkeiten nach der stressigen Prüfungszeit entgegen. Nun stellen sie fest, dass ihre Feiern, auf die sie sich so lange freuten, nicht stattfinden dürfen. Ich sehe was, was du nicht siehst – Enttäuschung.

 

Ich sehe eine ältere Frau, die ihren kranken Mann pflegt. Schon seit Jahren ist sie für ihn da. In den letzten Monaten war es besonders belastend, weil nicht nur Therapeuten nicht kamen, sondern weil auch Freunde und Verwandte Abstand hielten. Die Frau ist auch in dieser Zeit für ihren Mann da. Ich sehe was, was du nicht siehst – Liebe.


Stephanie Trieschmann

Auge
 

Gedanken... 14. Juni 2020


Singlis


Jede Woche fahre ich mehrmals von Homberg nach Borken. Manchmal muss ich in Singlis anhalten, weil die Bahnschranke geschlossen ist. Wenn ich Zeit habe, dann macht mir die Wartezeit nichts aus, wenn ich jedoch in Eile bin, ärgere ich mich, obwohl ich gar nichts für die geschlossene Schranke kann.

 

Anhalten, ausgebremst werden, warten müssen. Ein Phänomen, das viele von uns in diesen Zeiten erleben. Eigentlich hätte ich heute zwei Trauungen gehabt. Beide sind verschoben auf das Jahr 2021. Auch andere Zeitpläne ändern sich, Vorhaben geraten ins Stocken. Viele planen ihren Urlaub neu, andere stellen vorgesehene Anschaffungen zurück.


Wie kann ich mit diesen Situationen gut umgehen?

Bahnschranke
 

Ein Wort des ehemaligen Erzbischofs aus dem brasilianischen Recife, Helder Camara (1909-1999) passt dazu: „Sag ja zu den Überraschungen , die deine Pläne durchkreuzen, deine Träume zunichte machen, deinem Tag eine ganze andere Richtung geben – ja vielleicht sogar deinem Leben. Sie sind nicht Zufall. Lass dem himmlischen Vater die Freiheit selber den Einschuss deiner Tage zu bestimmen.“

 

Dieses Wort lädt mich ein, die Überraschungen und Unterbrechungen des Tages und dieser Zeit als Ausgangspunkt für eine neue Richtung und als Chance, die mir gegeben ist, zu sehen.

Wenn ich in Singlis an der Bahnschranke stehe, kann ich mich ärgern oder die Situation, die ich nicht ändern kann, annehmen.

Ich nutze die Wartezeit im Auto, um an die bevorstehende Begegnung zu denken, die Menschen zu beobachten oder einfach tief Luft zu holen, bewusst zu atmen oder ein Gebet zum Himmel zu schicken. Und: zum Ärgern über die geschlossenen Schranke bin ich nicht verpflichtet…


Peter Göb

 

Gedanken zum Tag... 11. Juni 2020


Logo Friday for Future
George Floyd
Fronleichnam 2019
 
 

Menschen gehen auf die Straßen, um zu zeigen, was Ihnen wichtig ist, wofür oder wogegen sie sind und machen damit auf wichtige Dinge aufmerksam.

 

Im vergangenen Jahr waren es Zehntausende vor allem junge Menschen, die für Umwelt und Klimaschutz auf die Straßen gingen.
Fridays for Future – Demonstrationen haben das Bewusstsein für unser Verhalten geschärft, aber noch nicht nachhaltig genug verändert.

 

In den vergangenen Tagen und Wochen demonstrierten viele Menschen in zahlreichen Städten der westlichen Welt für #blacklivesmatter.
Ausgelöst durch den gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA demonstrieren Menschen gegen Rassismus aller Art und in allen Bereichen.

 

An diesem Donnerstag wären eigentlich viele tausend Christen auf den Straßen unterwegs sein, um Fronleichnam zu feiern.
Die aktuellen Bestimmungen machen diese Prozessionen leider nicht möglich. Aber: dennoch ist das, was das Fest sagt, wichtig:

Gott ist in unserer Welt gegenwärtig. Dieser Gott ist ein Gott bei den Menschen.


Den Aktionen gemeinsam ist, dass es denen, die daran teilnehmen, ums Leben geht:

um das Leben auf unserer einen Welt und Schöpfung sowie um das Überleben der Menschheit,

um das Leben in Gleichheit und Gerechtigkeit, ohne Diskriminierung und Ausgrenzung,

um ein Leben, das über das Hier und Jetzt hinausweist.


Und darum finde ich es folgerichtig, wenn Christen sich bei den Fridays for Future-Demonstrationen beteiligen,

gegen Rassismus auf die Straßen gehen und immer wieder zeigen, dass wir einen Gott für die Menschen, einen Gott fürs Leben, haben.

 

Auf die Straße gehen, eintreten für etwas, wovon wir überzeugt sind…

Für wen oder was, würden Sie auf die Straße gehen?

Und wann tun sie es? Oder warum tun sie es nicht?

 

Peter Göb

 
 

Gedanken... 9. Juni 2020


Be-geistert


Vor gut einer Woche haben wir Pfingsten gefeiert. Es ist für mich das Fest, an dem besonders deutlich wird, dass Gott uns nicht alleine lässt. Durch den Heiligen Geist ist er bei uns – manchmal spürbar, oft als stiller Begleiter. Es ist gleichzeitig das Fest, das uns aufruft und Mut macht, verkrustete Strukturen und manche zum Trott gewordene Gewohnheiten zu hinterfragen. Dies gilt für die Kirche aber auch für unser privates Umfeld.


Dies wird deutlich in der Pfingsterzählung. Hier wirbelt der Heilige Geist einiges durcheinander: Die Apostel, die sich eingesperrt haben, werden wachgerüttelt. Für sie tun sich die Türen auf. Dabei gehen sie als Be-geisterte im Wortsinn hinaus zu den Menschen. Sie sprechen neue Sprachen, sodass Menschen sie verstehen können, die vorher keinen Zugang fanden. Sie bekommen Kraft und Mut, mit den Menschen in Kontakt zu treten.


Ich denke, auch bei uns will der Heilige Geist manches durcheinanderwirbeln. Er will es nicht nur an Pfingsten, sondern in allen Zeiten und Situationen – auch in der Corona-Pandemie. Er ermutigt uns, in einer Sprache zu sprechen, die für die Menschen heute verständlich ist. Aber nicht nur die Sprache im eigentlichen Sinn ist damit gemeint, sondern auch Kommunikationswege und Ausdrucksformen. Er will uns öffnen für neue Kontakte, für Menschen, mit denen wir bisher wenig oder gar nichts zu tun hatten

Durcheinander
 


Nicht immer fällt es uns leicht, gerade diese Offenheit zu zeigen. Mir hilft es dann, die Bitte darum mit hinein ins Gebet zu nehmen – mit den folgenden oder anders gewählten Worten.

 

Herr,

öffne uns für das Wirken Deines Heiligen Geistes:

 

Befreie unsere Gedanken von vielem „Du musst“ und „Du sollst“,

gib uns Mut, quer zu denken,

um überholte lähmende Strukturen zu sprengen,

weite unsere bisherigen Grenzen,

um neue Perspektiven zu entdecken,

schenke uns Kreativität,

um eingefahrene Dinge neu anzugehen,

begleite uns in unseren Worten und Taten,

um eine „Sprache“ zu sprechen, die für die Menschen heute verständlich ist.

 

Herr, hilf, dass spürbar wird, dass wir wirklich be-geisterte Menschen sind.

Amen.

 


Andrea Koucky


Gedanken... 7. Juni 2020


Ein Funke...

...aus Stein geschlagen.


Das Lied von Gregor Linßen ist in Kirchenkreisen bekannt.

Viele Chöre haben es in ihrem Repertoire.


Es beschreibt die Wirkung, die von einem kleinen Funken ausgeht, der ein Feuer entfacht, von einem Sonnenstrahl, der durch Wolken bricht, von einem Lächeln,

das die blinde Wut vertreibt.


Eine kleine Ursache mit großer Folge.


Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben, die große Wirkungen zeigen:

Ein Gedankenblitz, der zu einer großen Idee wird.

Eine kleine Veränderung, die Großes bewirkt.

Eine kleine Flamme, die einen ganzen Raum erhellt.

Ein einziger Mensch, der mit seinen Ideen und seiner Art und Weise viele verändert.


Dieses Lied zu einem meiner Lieblingslieder geworden.



Peter Göb



Vielen Dank für die Möglichkeit, das Lied hier zu hören an:

Marina Hornemann (Gesang) und

Andreas Speer (Klavier).


Text und Melodie: Gregor Linßen, 1990

 
 

Gedanken zum Tag... 4. Juni 2020


Ab Juni stellen wir etwas um: statt jeden Tag können Sie jeden Sonntag, Dienstag und Donnerstag einen neuen Impuls hier sehen.

Einfach da sein dürfen


Einfach da sein dürfen

tief ein- und ausatmen

sich strecken

sich räkeln


Sein dürfen

vor aller Leistung

ankommen im Jetzt

dank dem tiefen Atemfluss


Ärgerliche Gedanken

vorbeiziehen lassen

wie Wolken

verweilen im Jetzt


Einfach sein

nicht besser sein müssen

im Augenblick liegt

eine starke Lebenskraft


Pierre Stutz

Lass dich nicht im Stich

Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn und Wut

Ostfildern 2017

Wolken
 
 

Gedanken zum Tag... 2. Juni 2020


„Mach anderen Freude, und du wirst erfahren, dass Freude freut!“

Friedrich Theodor Vischer

(aus: Bilder für die Seele 2020. Ein Augenblick Besinnung)

 

Dieser Spruch ist mir in einem Kalender begegnet. Meine Gedanken gingen dem nach, wo ich in der letzten Zeit solche kleinen Freuden erfahren oder auch schenken durfte. Die Erinnerung an manche Dinge brachte auch im Nachgang ein Lächeln auf meine Lippen.

 

Freude machen – in dieser Zeit?!

 

Die Art und Weise, wie wir im Alltag Freude schenken (können), hat sich in den letzten drei Monaten geändert. Zum Schutz der Gesundheit sind direkte Begegnungsmöglichkeiten eingeschränkt. Es ist ein Zusammensein auf eine neue Weise. Die veränderte Situation hat aber gleichzeitig Kreativität gefördert. Dinge werden auf neue Weise angepackt und umgesetzt. Es sind andere Gesten der Zuwendung im Alltag, manchmal kleine Gesten mit großer Wirkung.

Menschen rufen einander an. Sie hören zu, was den oder die andere bewegt.

Sie haben ein gutes Wort füreinander. Sie treffen sich zu einem Spieleabend über Videochat. Sie verschicken liebe Botschaften – sei es klassisch per Brief oder als Mail und Chat oder auch als Videogruß. Sie helfen bei technischen Schwierigkeiten mit den – von manchen zuvor wenig genutzten – digitalen Medien. Sie tauschen sich über ihre Erfahrungen im Umgang mit dieser besonderen Zeit aus. Sie teilen Dinge, die ihnen guttun oder Dinge, die schwerfallen. Sie …


Sie machen einander viele kleine Freuden im Alltag und erfreuen sich oft selbst mit daran.

 

Andrea Koucky

Zeheh
 

Gedanken zum Tag... 31. Mai und 1. Juni - Pfingsten


ein neues herz


schaffe in mir gott ein neues herz
das alte gehorcht der gewohnheit
schaff mir neue augen
die alten sind behext vom erfolg


schaff mir neue ohren
die alten registrieren nur unglück
und eine neue liebe zu den bäumen
statt der voller trauer
eine neue zunge gib mir
statt der von der angst geknebelten
eine neue sprache gib mir
statt der gewaltverseuchten
die ich gut beherrsche
mein herz erstickt an der ohnmacht
aller die deine fremdlinge lieben


schaffe in mir gott ein neues herz

und gib mir einen neuen gewissen geist
dass ich dich loben kann
ohne zu lügen
mit tränen in den augen
wenns denn sein muss
aber ohne zu lügen


Dorothee Sölle
(1929-2003), Theologin und Dichterin

 

Herz