Was war oder ist die wichtigste Stunde in Ihrem Leben?
War die wichtigste Stunde die Stunde Ihrer Geburt?
Oder alls sie eine Prüfung bestanden haben?
Oder den Menschen fürs Leben kennenlernten?
Oder als sie eine große Selbsterkenntnis hatten?
Von Meister Eckhart,
dem große Mystiker des Mittelalters (1260-1328) ist das Wort überliefert:
Die
wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart,
der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht,
und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.
In diesen wichtigen Augenblicken des Lebens
dem bedeutendsten Menschen etwas Gutes gut, dazu lädt uns das Evangelium ein.
Es ist die sog. „Gerichtsrede“, obwohl das Wort „Gericht“
nicht ein einziges Mal darin vorkommt.
Es ist vielmehr eine große Rede über die Barmherzigkeit. Über
die Zuwendung zum Menschen.
Und die Werke der Barmherzigkeit, die aus diesen Evangelien
her abgeleitet ist, sind wie große Überschriften, die ausgefaltet werden
können, die auf die Situation, in der wir sind, angepasst werden können, die sich
nach Zeit und Region, ändern können.
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Einige Beispiele, Gedanken
dazu.
Nackte bekleiden – Menschen können körperlich nackt sein,
aber viele sind auf andre Weise „nackt“, bloßgestellt, entblößt. Sie werden an
den Pranger gestellt, der heute nicht mehr auf den Marktplätzen steht, sondern
online zu finden ist.
Da wird viel vermutet, geredet, geschrieben, aber die
Wahrheit bleibt auf der Strecke. Daher gilt es, Wahrheit und Lüge zu
unterscheiden, und den Menschen ihre Würde zu lassen bzw. zu geben.
Hungernde speisen und Durstigen zu trinken geben.
Welchen Hunger, welchen Durst? Wonach hungern Menschen heute?
Menschen dürsten nach Nähe, Wärme, Zuwendung, in diesen Zeiten besonders.
Hinter so manchem Lächeln und mancher Fassade des Hauses und
des Gesichts steckt eine tiefe Sehnsucht nach einem erfüllten Leben.
Kranke besuchen, Menschen im Gefängnis besuchen: hier möchte
ich Papst Franziskus zitieren, der vor genau sieben Jahren in einem Schreiben
u.a. formuliert hat (Evangelii Gaudium).
Hinausgehen in die Welt.
„Eine Kirche "im
Aufbruch" ist eine Kirche mit offenen Türen. Zu den anderen hinauszugehen,
um an die menschlichen Randgebiete zu gelangen, bedeutet nicht, richtungs- und
sinnlos auf die Welt zuzulaufen.
Oftmals ist
es besser, den Schritt zu verlangsamen, die Ängstlichkeit abzulegen, um dem
anderen in die Augen zu sehen und zuzuhören, oder auf die Dringlichkeiten zu
verzichten, um den zu begleiten, der am Straßenrand geblieben ist.
Manchmal ist
sie wie der Vater des verlorenen Sohns, der die Türen offenlässt, damit der
Sohn, wenn er zurückkommt, ohne Schwierigkeit eintreten kann. (46)
Und dann
schreibt er:
„Brechen wir
auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich
wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und
Laien von Buenos Aires gesagt habe:
Mir ist eine
"verbeulte" Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die
Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die aufgrund ihrer
Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu
klammern, krank ist.
Ich will
keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich
in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns
etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist
es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft,
das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine
Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben.
Ich hoffe,
dass mehr als die Furcht, einen Fehler zu machen, unser Beweggrund die Furcht
sei, uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen Schutz geben,
in die Normen, die uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die
Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine hungrige
Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: »Gebt ihr ihnen zu
essen!« (Mk 6,37).“ (49)
Obdachlose
aufnehmen. Menschen, die kein Dach überm Kopf, kein Zuhause haben.
Im
übertragenen Sinn heißt das: Menschen, die unklar in ihren Zielen sind, die
unstet durchs Leben gehen, auf ihrer „Lebensreise“ kaum ein Zuhause habe, eine
Herberge bieten.
Wir sind
unterwegs, keine bleibende Stätte, auch wenn es uns in unseren Häusern und
Wohnungen gut eingerichtet haben, wenn wir uns hier ein Zuhause schaffen
können. Wir sind am Ende auch ohne Obdach, unsere Zukunft ist im Himmel (2.
Lesung).
„Die
wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart,
der bedeutendste Mensch immer der, der dir gerade gegenübersteht,
und das notwendigste Werk ist immer die Liebe.“
Welche Werke
der Barmherzigkeit sind heute nötig?
Ich finde, es
kann heute ein Werk der Barmherzigkeit sein, Mund-Nasen-Schutz zu tragen, um
andere und sich selbst zu schützen, also den Schutzbedürftigen Schutz zu geben.
Es kann ein
Werk der Barmherzigkeit sein, äußerlich Abstand zu halten, sich nicht zu
umarmen, sich nicht die Hand zu geben.
Es kann ein
Werk der Barmherzigkeit sein, für eine Zeit Kontakte einzuschränken oder zu
meiden und gleichzeitig andere anzurufen,
eine Mail zu schreiben, einen Brief, Kontakt aufrechtzuhalten.
Es kann ein
Werk der Barmherzigkeit sein, den Einzelhandel vor Ort zu stärken und nicht
online zu kaufen.
Es kann heute
ein Werk der Barmherzigkeit sein, für den Erhalt von Wäldern,
für Umwelt- und Klimaschutz auf die Straßen zu gehen!
Es ist ein
Werk der Barmherzigkeit, Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken zu bewahren,
die – warum auch immer – nach Europa kommen.
Sie finden
für sich sicher noch weitere Beispiele…
Viele
Möglichkeiten sind uns geschenkt. Die Gefahr besteht, dass wir nach Ausreden
suchen:
Was soll ich
schon tun? Was kann ich allein schon zur Rettung der Läden vor
Ort beitragen?
Warum soll
gerade meine Kontakteinschränkung eine Hilfe sein?
Was können
wir in Deutschland schon machen, was kann ich schon machen, wenn es um Weltklima
geht?
Dorothee
Sölle, evangelische
Theologin (1929-2003) schreibt (Hände, die heilen):
Wir dürfen
uns nicht von der Ohnmacht
überwältigen lassen.
"Da kann man nichts machen" ist ein gottloser Satz.
So ist es eben, Hunger hat es immer gegeben,
heißt sagen, Gott hat keine Hände.
Zu denken, ich als einzelne kann sowieso nichts ändern,
heißt, sich selber abschneiden von der Liebe Gottes.
Es ist ja nicht wahr, dass du allein bist.
Wir haben alle und an jedem Ort viel mehr
Schwestern und Brüder, als wir glauben.
Der Glaube an das Evangelium beginnt mit ihrer Entdeckung:
Geschwister entdecken,
die neuen Namen des Reiches Gottes durchzubuchstabieren
und frei zu werden vom Zwang
einer brutalen, Mensch und Tier vernichtenden Zeit.
Wir legen diese Zeit aus Eisen und Blut,
aus Kälte und Gleichgültigkeit
in Gottes gute Hände,
Hände, die arbeiten an der Befreiung,
Hände, die heilen,
Hände, die teilen.
Die Zeit ist von Gott erfüllt,
und die Welt, in der niemand hungern muss,
liegt vor unseren Augen.
Kehrt um und vertraut der Botschaft,
die die Verlorenen rettet.