Die Rolle der Frau in der Gesellschaft und der Kirche – ist
ein Thema, das wahrlich größer ist, als nur in einer Predigt angesprochen zu
werden.
Gleichwohl möchte ich mit Blick auf die erste Lesung und des
Evangeliums einige Worte dazu sagen.
Ich denke, es bedarf einer Erklärung zur ersten Lesung, eine
Lesung, die für viele heutige Ohren unverständlich erscheinen mag.
Zunächst formal:
Die
alttestamentliche Lesung ist dem Buch der Sprichwörter entnommen. Die
ausgewählten Verse gehören zu dem Abschlussgedicht, mit dem das ganze Buch
endet.
Es handelt
sich bei den Versen 10-31 um ein Alphabet-Gedicht, Akrostichon, d.h. im
Hebräischen folgen die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse dem hebräischen
Alphabet. Aleph, Bet, Gimel, Dalet… Taw. 22 Verse, 22 Buchstaben des Alphabets.
In der
Übersetzung taucht dieser literarische Kunstgriff nicht mehr auf.
Das Gedicht
über die tüchtige Frau (31,10-31) und die Aussagen über Frau Weisheit (Kap 1-9)
sind wechselseitig aufeinander zu beziehen.
Und der
Inhalt:
Wir hören schnell, was wir hören wollen.
Eine tüchtige Frau wird uns vorgestellt. Es hört sich so an,
als wenn sie ihre vielfältigen Talente für ihren Mann tue.
Sie tut ihm Gutes, nichts Böses, ein Leben lang, so der
Verfasser der Zeilen.
Aber da ist viel mehr:
Sie sorgt für Wolle und Flachs. Das deute ich mit: Da ist
jemand engagiert, selbstständig, berufstätig.
Sie spielt
eine wesentliche Rolle in ihrem Umkreis. Dabei ist auffällig, dass ihr
Wirkungskreis sich nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt, sondern auch
den wirtschaftlichen Bereich umfasst.
Die Frau
tritt als Geschäftspartnerin auf, sie produziert, verkauft, sorgt sich um die
ihr Anvertrauten.
Und sie macht noch mehr:
Sie öffnet ihre Hand für die Bedürftigen, und reicht ihre
Hände den Armen.
Ein hohes soziales Engagement wird da deutlich. Sie hat einen
Blick auf die Benachteiligten und die Bereitschaft zum Teilen.
Das Bild der Frau in der Lesung ist das Bild von einem
Menschen, der einen guten Blick auf sein Umfeld hat.
Bei all dem hat sie den Blick für das eigene Leben:
trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit.
Sie weiß um die Begrenztheiten des Lebens, sie ist weise.
Und sie ist eine Person des öffentlichen Lebens, ihr
Engagement ist nicht verborgen: Am Stadttor ist sie bekannt, dort wird sie
gerühmt.
All das sind Eigenschaften, die von hohem Selbstbewusstsein sprechen
und nicht vom „Heimchen am Herd“.
Und so wird die Frau aus der Lesung zum Vorbild für alle.
Engagiert, offen, sozial, den anderen im Blick, kompetent,
selbstbewusst.
Und es sind Eigenschaften, die für jeden Menschen gut sind.
Gleich, welches Geschlecht ein Mensch hat.
Die Frau macht das, was im Evangelium zu hören ist: Sie setzt
ihre Talente ein, sie wuchert mit dem, was sie hat, was ihr geschenkt wurde.
Und was heißt das für heute?
Die Bilder, die wir von anderen Menschen, von ihren Aufgaben,
Eigenschaften haben, diese Bilder sind zeitbedingt. Rollenbilder auch. Die Gesellschaft
wandelt sich, es gibt Erkenntnisse aus der Forschung und Wissenschaft, die
unser Verstehen erweitern.
Wir haben heute Selbstverständlichkeiten, die vor wenigen
Jahrzehnten noch undenkbar waren.
Frauenwahlrecht wurde in Deutschland vor gut 100 Jahren
eingeführt: 1918.
Und: die Begründungen, warum Frauen bzw. Menschen überhaupt
aufgrund von äußeren Merkmalen, von Herkunft, Nationalität,
Geschlechtsidentität usw. von Aufgaben, Ämtern, Verantwortung ausgeschlossen
werden, sind nicht mehr haltbar.
Teilhabe von allen in allen Leitungsfunktionen sind wichtig
und sollten selbstverständlich sein…
Ich frage mich, ob die Kirche, die mit einer Fülle von
Talenten beschenkt war und ist, mutig ist. Ob sie mit den Talenten wuchert und
einsetzt und vermehrt, oder ob die Kirche gleich dem dritten Diener handelt.
Also eine Kirche ist, die die Talente, die ihr in Menschen geschenkt
werden, eingräbt, aus Angst vor wem oder was auch immer vergräbt.
Liebe Geschwister,
neben dieser Gleichstellung und Gleichberechtigung folgt dann noch etwas
anderes für mich und wirkt sich praktisch aus.
Sprachliche Zurücksetzungen sollten aus dem Sprachgebrauch in
Wort und Schrift verschwinden. Rein männliche Formulierungen in Schrift und
Wort gehören hoffentlich der Vergangenheit an.
Auch keine leichte Aufgabe, aber nötig. Immerhin in den
Lektionaren auch offiziell: Da steht seit einiger Zeit "Brüder und Schwester", besser noch wäre, es würde dort
„Geschwister“ stehen.
Es gibt Bürgerinnen und Bürger einer Stadt, Schülerinnen und
Schüler an einer Schule, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nein, Mitarbeitende
in einem Unternehmen. Es gibt Leserinnen und Leser (Lesende), Hörerinnen und Hörer (Hörende), usw. usw.
Ein zweieinhalbtausend Jahre alter Text wird aktuell.
Und
hoffentlich all das, was er beinhaltet, bald zur Selbstverständlichkeit werden.
Peter Göb